Verbessern statt ersetzen – wie KI unseren Alltag bereichert
Schon mal ein Gespräch mit einem Computer geführt? Bestimmt. Sie haben es nur nicht gemerkt. Ganz ähnlich ging es den Probanden des vom Wissenschaftler Alan Turing durchgeführten Turing-Tests im Jahr 1950. Sie sollten unterscheiden: Welcher Gesprächspartner ist Mensch und welcher Maschine. Der Test legte den Grundstein für die Forschung an künstlichen Intelligenzen (KI) und wird noch heute angewandt. Er attestiert – im besten Fall – einer Maschine ebenbürtiges menschliches Denkvermögen.
Aus anfänglichen Chats ist ein Zusammenleben geworden. „Alexa? Schalte das Licht im Wohnzimmer ein!“ Ein Satz, der immer häufiger durch unsere Haushalte wabert. Alexa gehorcht und flutet den Raum mit Licht. Künstliche Intelligenz wird ein immer bedeutenderer Bestandteil des alltäglichen Lebens. Nicht jeder ist davon begeistert. Manche fürchten, ersetzt zu werden. Zum Beispiel im Job. Dabei ist KI vielmehr Chance als Risiko. Wir zeigen fünf Fälle, in denen KI unser Leben bereichert, ohne Existenzen zu gefährden.
1. 1000 Zellen pro Sekunde
In der medizinischen Diagnostik ist es wichtig, Zellen zu unterscheiden und zu sortieren. Bei der herkömmlichen Methode markieren Laboranten die Zellen mit fluoreszierenden Antikörpern. Das ist zeitintensiv und teuer.
Ein neuer Ansatz strebt eine Unterscheidung aufgrund von Größe, Form und Verformbarkeit an – die Echtzeit-Verformungszytometrie. Eine Zelllösung wird durch einen Kanal gegeben, in dem die Zellen auf natürliche Art und Weise auseinandergezogen werden. Der Grad der Verformung ermöglicht die genaue Bestimmung des Zelltyps. Dieses Verfahren kombinierten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in Erlangen mit künstlicher Intelligenz. Hunderttausende Bilder von Zelltypen dienen dem System als Grundlage. Nach ausreichendem Training können die Forscher die problematischen Fluoreszenzmarker weglassen. Die KI identifiziert die Zellen stattdessen in Sekundenbruchteilen.
In Zukunft können Mediziner mit diesem "Zellsortierer" unbeschadete blutbildende Zellen erkennen, die Krebspatienten nach der Injektion beim Wiederaufbau des Immunsystems helfen.
2. Den Tieren zuliebe
26 Prozent aller Säugetierarten sind vom Aussterben bedroht. Das zeigt die Rote Liste der gefährdeten Tierarten der Weltnaturschutzunion IUCN. Deswegen hat es sich Wildlife Insights zur Aufgabe gemacht, die Artendiversität mit Technik und KI zu retten. Das Prinzip dahinter ist einfach: Forscher aus aller Welt können die Fotos ihrer Kamerafallen auf einen Server laden, um sie von Googles KI analysieren zu lassen. Dadurch können sie die Tiere in kürzester Zeit identifizieren und die Fotos einen wichtigen Forschungsbeitrag leisten.
Seit vielen Jahren setzen Wissenschaftler Kamerafallen in der Tierforschung ein. Bisher konnten sie die Aufnahmen nur in mühsamer Kleinstarbeit auswerten. Der Einsatz von KI erleichtert ihnen die Arbeit. Rund 1.000 Fotos können Forscherteams pro Tag händisch sichten und beschriften. Die KI kann momentan 30.000 Bilder am Tag auswerten. Dieser Wert soll bald auf 100.000 gesteigert werden. Ein immenser Schritt in der Datenanalyse.
Die Kernaufgabe der künstlichen Intelligenz besteht aus zwei Arbeitsschritten:
- Rund 80 Prozent der Aufnahmen des Datensatzes einer Kamerafalle sind leer. Die Identifizierung von sogenannten „blanks“– Bilder, auf denen kein Tier ist – beanspruchen die meiste Zeit. Akribisch müssen die Forscher jede Ecke des Bildes absuchen, wie ein Detektiv auf Spurensuche gehen. Diesen Job übernimmt ab jetzt die KI.
- Der zweite Job der KI ist es, die Tiere zu identifizieren. Dafür greift das System auf eine riesige Datenbank mit über acht Millionen Bildern zurück. Über 614 verschiedene Tierarten sind erfasst und der Datensatz wächst stetig weiter. Damit können Forscher die genauen Lebensräume von Tieren erkennen und Bewegungsprofile erstellen. Ein gewaltiger Schritt für Tierschützer und -forscher. In Zukunft soll die KI auch Videos und Audiodateien auswerten können.
3. Vorsorge unter den Augen der KI
Etwa 26.000 Menschen in Deutschland sterben jährlich an den Folgen von Darmkrebs. Weltweit sind es knapp 700.000 Fälle. Die Darmkrebsvorsorge soll deshalb zukünftig mithilfe von KI optimiert werden. Am Universitätsklinikum in Freiburg kommen die lernenden Systeme regulär zum Einsatz, um kleinste Krebsvorstufen zu erkennen. Mit Erfolg.
Die KI analysiert während der Koloskopie, also der Darmspiegelung, die Live-Kamerabilder. Auffällige Hautveränderungen werden sofort mit einem kleinen grünen Viereck markiert. Studien belegen, dass Ärzte durch die technische Unterstützung etwa zehn Prozent mehr Krebsvorstufen entdeckten als ohne. Mehr als 50 Patienten wurden mit diesem Verfahren bereits untersucht.
Tausende Aufnahmen von Darmkrebsvorstufen dienten dem System als Grundlage für das Deep-Learning-Verfahren. Dabei entwickelte die KI eigene Suchmuster, mit denen das Erkennen der Gewebeveränderungen besonders erfolgreich war. Ärzte, die mit dem System arbeiten wollen, brauchen keine Einarbeitung. Die Markierungen sollen das Augenmerk auf die verdächtigen Bereiche lenken, da die KI dauerhaft das ganze Bild erfassen kann. Ob ein Stück Gewebe entfernt werden muss, entscheiden weiterhin nur die Ärzte. Das System soll den Patienten eine sichere Untersuchung garantieren, bei der die Fehlerquote gegen null geht.
4. KI zähmt nervige Warteschlangen
In der Mittagspause schnell einen frischen Salat aus dem Restaurant um die Ecke holen? Das bedeutet endloses Anstehen, während die Minuten verrinnen. Nervig. Die Besitzer einer spanischen Schnellrestaurant-Kette haben das Problem erkannt. Arbeitnehmer, die während ihrer Pause einkaufen gingen, warteten im Durchschnitt rund 15 Minuten. Die meiste Zeit raubt der Bezahlvorgang. Zu viel bei einer gängigen Pausenzeit von maximal einer Stunde. Besucher, deren Pause kürzer ist, gaben in einer Umfrage an, das Restaurant gar nicht mehr besuchen zu wollen.
Die Besitzer handelten und integrierten ein Embedded-KI-System. Das ist eine Kombination aus KI-fähiger Software und einer sogenannten Edge KI-Plattform. Die technische Innovation „FastPay“ wurde an allen Kassen der Kette installiert.
Eine Edge-Plattform dient der Verarbeitung von Datenströmen an Ort und Stelle. Dafür verschiebt das System Daten und Dienste aus dem zentralen Knotenpunkt in die äußeren Ränder eines Netzwerks. Eine ressourcenschonende Methode, da kein permanenter Upload zu einer Cloud besteht. Der verringerte Datenverbrauch senkt Übertragungskosten, verringert die Wartezeiten und verbessert den Service signifikant.
Anstatt einem Kassierer das Geld zu reichen, der vorher die Waren scannen musste, übernimmt diesen Job eine Kamera. Die Kunden brauchen dafür nur ihr Tablett unter die Linse stellen. Die Kamera scannt die Waren und die Anzahl. In rund 1,5 Sekunden sind alle Artikel erkannt und der Gesamtpreis berechnet.
Per EC-Karte oder App wird bezahlt und das nervige Warten in riesigen Schlangen hat ein Ende. Das macht nicht nur den Bezahlvorgang effizienter, sondern lässt die Kunden deutlich zufriedener ihr Essen genießen. Laut den Entwicklern könne das System zukünftig in vielen Geschäften eingesetzt werden.
5. KI für die Tonne
Die Müllentsorgung ist eine konservative Branche. Am logistischen Ablauf hat sich seit Jahren nichts geändert. Deshalb entwickelte der Schweizer Informatikstudent David Jenni im Zuge seiner Masterarbeit ein Modell, mit dem die Müllabfuhr zukünftig effizienter und kostengünstiger arbeiten kann.
Das neuronale Netzwerk, mit dem Jenni arbeitete, funktioniert ähnlich wie Googles Bilderkennung. Als Grundlage dienen seinem System die Kamerabilder des Müllschachts eines Müllwagens. Abfallentsorger Schwendimann AG lieferte ihm die Aufnahmen. Mehr als 100 Stunden Material speiste der Schweizer in sein System ein. Dadurch war es dem Netzwerk möglich, die Müllsäcke und -tonnen aus verschiedensten Winkeln zu identifizieren. Es erkannte immer präziser, an welchen Stellen besonders viel Müll anfiel und in welchen Regionen die Säcke kaum voll waren. Mit den Erkenntnissen wird vermieden, dass ein 25 Tonnen Laster für einen einzigen Müllsack anhält. Das verbraucht unnötig Energie und kostet vor allem Zeit.
Forscher der Universität Fribourg sind begeistert von Jennis gesammelten Daten. Sie wollen daraus neue Routen berechnen und schnell erreichbare Müllsammelplätze für die Gebiete bestimmen. Dadurch müssen die großen Müllwagen seltener halten. Die Müllentsorgung für Unternehmen und Endkunden wird günstiger. Außerdem denken die Forscher über den Einsatz von wendigeren Elektroautos in Gebieten nach, in denen wenig Müll anfällt. Dann müssten die Fahrer ihre tonnenschweren Lastwagen nicht mehr durch zu enge Gassen manövrieren.
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