Wir werden nicht umkippen
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Wir werden nicht umkippen

Die Coronakrise ist die größte Herausforderung in unserer Agenturgeschichte. Wenn das Füreinanderdasein keine Einbahnstraße ist, werden wir sie meistern.

von Kevin Friedersdorf
Kevin Friedersdorf, Geschäftsführer MANDARIN MEDIEN © Tobias Kruse, tobias-kruse.com

Hartgeld kann kühl in der Hand liegen.
 
In den ersten Jahren von MANDARIN lebten mein Mitgründer Martin und ich zeitweise am Existenzminimum. Wir gingen in den Supermarkt, und es war manchmal eine Abwägungssache, ob wir uns zu Nudeln und Ketchup ein bisschen Wurst gönnen wollten. Wir waren an Träumen reich, aber das Geld war knapp. Ich weiß auch 15 Jahre später, wie es sich anfühlt, nur sehr wenig zu haben. Wenn die Angst vor der Zukunft einem häufig in die Gedanken schleicht.
 
Der Corona-Virus und dessen wirtschaftliche Folgen haben uns genauso überrascht wie alle anderen. Vor ein paar Wochen lebten wir gedanklich in der Zukunft. Wir machten uns Pläne, dachten laut, wohin und wie wir wachsen wollen. Unsere Vorsätze waren groß und kühn. Seit Corona geht es darum, in der Gegenwart zu schützen, was wir lieb gewonnen haben. Es sind stürmische Zeiten da draußen. Auch für uns.

Eine Naturgewalt, die entwurzeln will

In unserer 18-jährigen Geschichte hatten wir unsere Sorgen. Fast alle unsere Probleme waren hausgemacht. Uns unterliefen strategische Fehler. Wir mussten eine sehr gute Mitarbeiterin entlassen, weil wir uns verkalkuliert hatten. Solche Fehler begeht man nur einmal. Aber man begeht sie. Jede Krise, die wir intern verursachten, konnten wir mit eigenen Kräften wieder beenden, weil wir aus unseren Patzern lernten. Wir blieben handlungsfähig und konnten entstandene Schäden selbstständig reparieren.
 
Die aktuelle Situation ist anders gewichtet. Sie ist surreal in diesem Land. Wir haben nichts falsch gemacht, sondern eine äußere Naturgewalt will uns entwurzeln. Wir haben uns auf viele Eventualitäten vorbereitet, aber keine Vorstellung war ansatzweise so tief greifend wie der Shutdown, der uns momentan in Deutschland ereilt. Der notwendig ist, weil die Gesundheit immer vorgehen sollte. Egal, wie viel sie kostet.
 
Das Unangenehmste an dieser wirtschaftlichen Situation ist, dass wir nicht wissen, wie lange sie uns fordern wird. Wir können nicht erahnen, was uns noch erwartet. Eine große Ungewissheit umgibt uns. Wann verschwindet sie endlich?

Gegen den Reflex

Als Unternehmer neigt man in solchen Momenten zu einem Reflex, man stellt sich die Frage: Wo kann ich jetzt Geld sparen, um zu überleben? Ich dachte zunächst an unsere Büros. Beinahe alle Mitarbeiter sind im Homeoffice. Wozu benötigen wir jetzt unser Reinigungspersonal, selbst wenn es seit Jahren verlässlich gute Arbeit leistet? Es ist niemand da, der etwas schmutzig macht. Die Mülleimer sind leer. Die Küchen sauber. Warum soll ich mir diese Kosten leisten?
 
Und dann denke ich an mich vor 15 Jahren, als ich an der Kasse stand, und nachzählte, ob ich genug Geld für meinen Einkauf dabei habe. Will ich die Ängste und Nöte an andere weiterreichen? Ist das die einzige Option?
 
Nein. Es geht immer anders.

Niemanden zurück und alleine lassen

Als Unternehmer und als Mensch möchte ich nicht, dass es diejenigen zunächst trifft, die am härtesten unter einem fehlenden Einkommen leiden werden. In den vergangenen Tagen haben wir viele Kostenfaktoren auf ihre Notwendigkeit untersucht. Dienstleister sind darunter, die von uns abhängig sind, bei denen unsere Absage die letzte sein könnte. Will ich das? Nein! Es muss anders gehen. Es muss.
 
Wir befinden uns in einer privilegierten Lage, weil wir Handlungsoptionen besitzen. Nur weil wir einen Teil verlieren, sollte niemand Sorge um das Ganze haben. Für uns gilt der Grundsatz: Wir behandeln andere so, wie wir selbst behandelt werden möchten. Wir haben uns deshalb entschieden, soweit es möglich ist, dass Projekte und Vereinbarungen wie versprochen weiterlaufen. Wir wollen niemanden zurück und alleine lassen. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Krise nur gemeinsam durchstehen werden. Unternehmensübergreifend.

Das Füreinanderdasein ist keine Einbahnstraße

Diese Überzeugung wurde von unseren 81 Mitarbeitern unfassbar gestärkt. Ich bekam viele Mails, Anrufe und Sprachnotizen. Meine Kollegen boten von selbst Gehaltsverzichte an, manche bis zu 20 Prozent. Das will ich aber gar nicht.
 
Trotzdem einigten wir uns auf eine gemeinsame Aktion: solidarische Kurzarbeit. Die Kollegen, die wir aufgrund von Kundenabsagen oder sofortigen Projektstopps in Kurzarbeit schicken müssen, werden von uns weiter maximal unterstützt. Ein Großteil der nicht betroffenen Mitarbeiter will in einen Fonds einzahlen, der Verdienstausfälle für diese Kollegen reduziert. Der Sonderurlaub, den wir nun gewähren, wird von den Angestellten ohne Kinder freiwillig an die Mütter und Väter in unserer Agentur verschenkt. Der Laden rückt in der Krise noch enger zusammen, und es gibt nichts, was mich mehr rühren könnte. Nie war es wichtiger, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Einheit bilden, die sich gegenseitig vertraut. Das Füreinanderdasein ist niemals eine Einbahnstraße. Gemeinsam werden wir die Corona-Krise und die Folgen abdämpfen und überwinden.

Wir werden in den kommenden Monaten vielleicht wanken. Wir werden aber nicht umkippen. Das verspreche ich allen. Und vor allem mir selbst.

In diesem Artikel
Kevin Friedersdorf

Ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur MANDARIN MEDIEN. Seit September 2018 ist er Herausgeber von GrowSmarter.

4 Kommentare
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Ingo Kaldarasch
31.03.2020
Moin Kevin, ich wünschte mir, die Großen, die am WE mit unseeligen Mietverweigerungsaktionen medial aufgefallen sind, würden sich die Zeit nehmen und bei Dir nachlesen, wie man humanistisch orientiert als Leuchtturm in dieser Zeit dazustehen hat ... so wie Du und so wie wir Vielen, die die Menschen noch kennen, mit denen sie arbeiten.
Kevin
03.04.2020

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Hallo Ingo! Vielen Dank für deine lieben Worte. Zusammenhalt ist jetzt das Wichtigste! Deshalb wollen wir die lokale Wirtschaft weiter supporten: https://www.mandarin-medien.de/gemeinsamstark
Thomas Witte
30.03.2020
Ein toller Text, der uns wirklich allen als Inspiration und ein wenig auch als Spiegel dienen sollte.
Es ist wie im wirklichen Leben: in guten und in schlechten Zeiten. Und gerade in den schlechten erkennt man, wie wichtig sowohl die Gemeinschaft als auch die / der einzelne ist.
Wir sind im Handel – unser Geschäfte sind geschlossen. Aber wir werden für unser Team auch aufstocken, da stand für meine Frau und mich zu keiner Sekunde infrage.
Denn: wir sind nur so gut wie unser Team – und wir haben das Geilste Team der Welt!
Kevin
03.04.2020

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Danke, lieber Thomas! Ich werde selbst jeden Tag von unseren Leuten inspiriert. Mut und Enthusiasmus waren nie wichtiger. Schön, wie viele genau das jetzt vorleben! Finde ich toll, wie ihr das mit eurer Crew macht. Es geht nur gemeinsam.

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