#ÜberTalent: Wie ich als Profitrainer Talent erkenne
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#ÜberTalent: Wie ich als Profitrainer Talent erkenne

Karsten Neitzel ist seit zwei Jahrzehnten Trainer im Fußballgeschäft. Ob er in seinem Job Erfolg oder Misserfolg hat, hängt auch davon ab, wie gut er begabte Spieler findet.

von Karsten Neitzel
Nachdenklich: Karsten Neitzel hat im deutschen und japanischen Profifußball viel über Talent gelernt. © Matthias Hermann / https://www.calcio-culinaria.de/

Den Beruf des Fußballtrainers können wir in manchen Aspekten mit dem Job einer Führungskraft in der Wirtschaft vergleichen. Wir müssen Verantwortung übernehmen, Strategien vorgeben, Talent fördern und harte Entscheidungen treffen. Wir tragen die Verantwortung, wenn die Ergebnisse nicht stimmen.

Doch es gibt gravierende Unterschiede zwischen einem Trainer und einem Vorgesetzten in der Wirtschaft. Eine normale Führungskraft muss sich nicht von tausenden Menschen anhören, wie doof alles ist, wenn eine Strategie nicht aufgeht. Medien und Fans fordern sehr wahrscheinlich nicht mit Sprechchören und Forumsbeiträgen den Rauswurf eines Abteilungsleiters oder eines Vorstands in einem mittelständischen Unternehmen.

Am Wochenende muss ich zudem den Umstand managen, dass 11 bis 14 Spieler womöglich gute Prämien verdienen (für Siege oder das bloße Auflaufen), während die andere Hälfte des Kaders leer ausgeht. Geld verdirbt auch gute Charaktere. Hinter dem Job eines Profifußballtrainers steckt mehr als viele denken.

Wie definiere ich Talent

Talente müssen zunächst selber begreifen, dass sie Talente sind. Das ist für mich die wichtigste Komponente: Selbstvertrauen. 

Was ich damit meine, ist schnell erklärt: Ein Fußballer, der weiß, dass er besonders talentiert ist, spielt mutig und übernimmt Verantwortung. Weil er weiß, dass er die Anlagen hat, besser als der Gegner zu sein. Und selbst wenn ihm ein Fehler unterläuft, hört er nicht auf, sein Talent zu entfalten. Talent geht mit Haltung einher. Ein begabter Fußballer macht weiter, bis das klappt, was er vorhat. Der Kopf ist im Profifußball extrem wichtig.

Wie erkenne ich Talent

Die Herausforderung als Fußballtrainer ist, nicht nur das Talent eines Spielers zu erkennen, sondern genau die Begabung zu finden, die die eigene Mannschaft dringend benötigt. Im Grunde gibt es in Mannschaftssportarten nur ein wesentliches Talent, und das ist die Gesamtstärke des Teams. Zehn hoch veranlagte Spieler nützen dir wenig, wenn sie im Zusammenspiel nicht funktionieren. 

Häufig bleiben die Talente von manchen Sportlern für die allermeisten Beobachter unsichtbar. In Kiel hatte ich einen Mittelfeldspieler, der hat alles aufgeräumt, also Bälle im Mittelfeld gewonnen und Gegenspieler gestoppt. Aber ein filigraner Techniker, der tolle Pässe spielt oder Tore schießt, war er nicht. Wahrscheinlich haben 90 Prozent der Fans das Talent dieses Spielers, das in der relevanten Nische beeindruckend war, gar nicht wahrgenommen. 

Außerdem erkenne ich Talent anhand der Mentalität. Wenn Spieler sagen, sie spüren kein Vertrauen von mir, dann ist das kein gutes Zeichen. Die Spieler müssen zuallererst sich und ihrem Können vertrauen. Wenn dieses Selbstbewusstsein nicht da ist, wird es schwierig für sie und auch für mich. Es sind eher wir Trainer, die sich auf jeden Charakter in der Mannschaft verlassen müssen. Wir stehen selbst nicht mehr auf dem Platz. 

Es gibt einen guten Trick, um wahres Talent und die dazu passende Persönlichkeit zu erkennen. Wir müssen die Leistungen von Spielern gegen große und kleine Gegner beobachten und übereinanderlegen. Es gibt Typen, die hauen immer alles raus, egal ob es gegen einen Bundes- oder Regionalligisten geht. Und es gibt Spieler, die gegen vermeintliche Außenseiter nicht so fleißig sind. „Klappt ja alles schon irgendwie.“ Daran kann man tatsächlich erkennen, wie viel jemand in sein Talent investiert. 

Wie binde ich Talent

Indem ich viel mit den Spielern rede. Ich will ein kommunikativer Trainer sein. Es hilft oft, zu wissen, wenn bei den Jungs privat etwas nicht stimmt. Wenn ich weiß, dass die Oma vom Stürmer gestorben ist, kann ich die womöglich notwendige Kritik an ihm anders formulieren. 

Manchmal ist man als Trainer sehr überrascht, wie vielschichtig und tief Spieler über ihre Leistungen nachdenken. Da muss ich sogar manchmal beruhigen und sagen: Junge, mach dir nicht so viele Gedanken. Alles okay. Mach einfach weiter.

Ich will authentisch rüberkommen. In meinen Spielanalysen gibt es auch mal einen Spruch, den ich jetzt hier nicht wiederholen würde. Gemeinsames Lachen, auch über den Gegner, muss intern erlaubt sein. Das motiviert und formt eine Mannschaft. Als Jugendspieler, der in der DDR groß geworden ist, habe ich das oft vermisst. Da wusste ich vor jeder Einheit, was der Trainer sagt. Das wurde teilweise von oben vorgegeben. Das war sehr ernüchternd. 

Und wenn ich Spieler verpflichten möchte, sie also von unseren Plänen als Mannschaft überzeugen will, versuche ich möglichst konkret und aufrichtig, also ehrlich, die Bedeutung und Wertigkeit des Spielers auszudrücken. Was habe ich mit ihm vor, wie setze ich ihn ein – solche Sachen muss ich als Trainer gut kommunizieren können. 

Wie fördere ich Begabung

Manchmal nicht so, wie ich es eigentlich viel lieber machen würde. Ein Beispiel sind die Fehleranalysen. Früher haben wir das mit der gesamten Mannschaft gemacht. Video geguckt und gesagt, was falsch lief. Danach ging es weiter. Jeder hat auf diese Weise auch aus den Fehlern der anderen gelernt. Heute ist das schwierig. Fußballer bewegen sich häufig in einer Blase, in der sie oft gesagt bekommen, wie toll sie sind und wie gut sie doch spielen. 

Manche Profisportler fühlen sich schnell beleidigt und persönlich angegriffen, wenn man sie vor anderen kritisiert. Ich musste mich anpassen und gestalte diese Fehleranalysen mittlerweile viel kleinteiliger und in kleineren Gruppen. Als Trainer gehört es zu meinen Aufgaben, für eine gute Stimmung im Team zu sorgen. 

Im Jugendbereich können wir Begabungen fördern, indem wir die Schwierigkeiten für den talentierten Nachwuchs sukzessive erhöhen. Wer mit 15 zu gut für seine Gleichaltrigen ist, muss gegen höhere Jahrgänge ran. Doch wenn man sieht, dass das Niveau dafür doch nicht reicht, braucht es den Mumm, eine Entscheidung zu revidieren. Wenn Talente zu lange nicht spielen oder permanent überfordert sind, wird sehr viel Begabung zerstört. Das habe ich als Fußballtrainer lernen müssen. In der Altersspanne von 17 bis 21 geht uns extrem viel Talent durch falsche oder unzureichende Förderung verloren. Schuld sind oft nicht die Trainer, sondern die Spieler selbst. Sie wollen so früh wie möglich so viel Geld verdienen, wie es nur geht. Das ist legitim. Aber oft nicht langfristig gedacht.

Mein größtes Talent

Ich habe gelernt, über den Tellerrand zu schauen. In Freiburg war ich zehn Jahre Cheftrainer der U23 und gleichzeitig Co-Trainer bei den Profis in der 1. und 2. Bundesliga. Besonders in der Arbeit mit den “Amateuren” habe ich abseits des Platzes viel gelernt. Das Organisieren von Ausbildungs- und damals Zivildienstplätzen, das Bestellen von Essen für die Spieltage oder die Buchung des Reisebusses. Das war damals noch nicht alles so professionalisiert wie heute. In dieser Zeit habe ich neue Perspektiven und Eindrücke gewonnen. Und ich denke, darin bin ich talentiert: Dinge zu hinterfragen, offen zu sein und mit Jahren stetig zu lernen.  

In diesem Artikel
Karsten Neitzel

Karsten Neitzel hat bei populären Fußballclubs wie dem VfL Bochum, Holstein Kiel, Rot-Weiß Essen und dem SC Freiburg gearbeitet. Als Profi spielte er unter anderem für die Stuttgarter Kickers.

1 Kommentare
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Buntic Bernard
27.06.2022
Hallo, ich habe denn Artikel von Karsten Neitzel mit voller Begeisterung gelesen. Scheint ein toller Mensch zu sein. Ich bin gerade dabei nach schweren 7 Jahren (meine Frau hat den Krebs besiegt) mich wieder dem Fußball zu widmen. Würde mich freuen wenn ihr mich mit Karsten vernetzen könntet. Ich bin in Deutschland geboren und komme ursprünglich aus dem Ex Jugoslawien jetzt Kroatien. Ich bin gerade dabei meine alten kontakte aufzupolieren und möchte gerne wieder im Fußball Business Fuß fassen. Ich habe da einige Ideen und Visionen die ich gerne in angriff nehmen würde. Liebe Grüße Bernard

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