Kolumne: Der Wert von Mentoren
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Kolumne: Der Wert von Mentoren

Mentoren sind wichtig für die Entwicklung von talentierten Mitarbeitern. Doch oft verlassen sich Firmen auf den Zufall. Im Sport agieren manche Teams schlauer. Unternehmen sollten abgucken.

von Hannes Hilbrecht
© Photo by Riley McCullough on Unsplash

Wenn man gut drei Monate nach der Einstellung eines Mitarbeiters eben diesen wieder entlässt, war das kein guter Move, oder?

Sehen wir uns diesen Fall an einem konkreten Beispiel aus dem Weltsport an. Und zwar bei den Seattle Seahawks, dem American Football-Team aus dem Nordwesten der USA.

Brandon Marshall, 34, wechselte erst im Sommer in die Emerald City. Jetzt ist er arbeitslos.

Einer der Besten. Früher einmal.

Marshall ist Receiver Spielerposition im Football. Konkret: Spieler, der den geworfenen Ball fängt und versucht, möglichst viel Raumgewinn zu erzielen.. Er empfängt keine Programme, sondern Pässe des Quarterbacks. Er läuft eine festgelegte Route, fängt den eiförmigen Ball und versucht, ihn möglichst weit zu tragen. Das ist seine Kernaufgabe. Mit seinen anderen Aufgaben würde man Football-Laien überfordern.

Marshall war einer der besten auf seiner Position. Früher einmal. Schnell, athletisch, ein sicherer Fänger mit dem richtigen Gespür, um zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Ein herausragender Sportler.

Doch die Halbwertszeit der meisten Footballspieler ist nicht länger als die jedes anderen Profisportlers (nehmen wir Golfer und Dartspieler mal raus). Marshall war drüber, wie man sagt, zu alt, zu oft verletzt. Ein Zwicken hier, ein Zwicken da. Kennt man ja. Kommt mit dem Alter.

Eine geplante Kurzzeitkraft

Die Seattle Seahawks hatten ihn trotzdem verpflichtet, obwohl sie um seine Schwäche wussten. Etwa, weil sie nicht viele gute Receiver hatten? Oder, weil sie auf die sagenumwobene zweite Luft hofften? Bestimmt waren auch das Motive. Doch wie mittlerweile rauskam: Marshall, die Kurzzeitkraft, hatte noch eine andere, viel wichtigere Aufgabe. Teachen. Oder auf Deutsch: Lehrer sein.

Als ich zum ersten Mal von dieser Aufgabe hörte, dachte ich wie ihr wahrscheinlich auch: Clever, er sollte den jüngeren und weniger kaputten Receivern zeigen, wie man Bälle fängt. Aber wir denken hier falsch.

Ihr müsst wissen: Es gibt einen direkten Gegenspieler zum Receiver, und das ist der Cornerback. Er läuft dem Passempfänger hinterher, deckt ihn, versucht den Pass zu verteidigen. Im besten Fall fängt er ihn sogar selbst und lässt so das Ballrecht wechseln. Man nennt das Interception – und manchmal sind diese Momente von hollywoodreifer Ästhetik. Wie in diesem Video zu sehen.

Brandon Marshall, so erzählten es Beobachter nach seiner Entlassung, schulte nicht vordergründig die Receiver. Er kümmerte sich um die jungen Corners der Seahawks – seine potenziellen Gegenspieler. Erklärte ihnen in den Trainings, auf den Auswärtsreisen und in der Kabine, wie er früher seine Bewacher austrickste. Welche Fehler sie machten und wie er diese ausnutzte. Und natürlich erzählte er ihnen, was er gar nicht mochte – wie er also am besten zu verteidigen war.

Der wichtigste Schüler von Brandon Marshall hieß Tre Flowers – Flowers wie die Blume. Und wie ein zartes Gewächs performte dieser Flowers in den ersten Spielen in dieser Saison. Seine bulligen Gegenspieler liefen ihm davon, drückten ihn einfach weg, fingen die Bälle ungestört.

Zwei Monate später ist dieser Flowers auf dem Weg, ein Topverteidiger zu werden. Er stößt seine Gegenspieler aus dem Weg. Hechtet nach den Bällen wie ein Großer! Zufall?

Talent ist das eine. Coaching das andere.

Das Besondere an diesem Training: Es kam nicht von oben herab, sondern war ein gemeinsamer Prozess unter Kollegen. Marshall und Flowers waren ein Gespann in den Trainingssessions und danach.

Marshall konnte seinem Teamkollegen besondere Insights geben, ihn schulen und prägen. Sowas kommt im Weltsport häufig vor. Junge Spieler lernen von den alten Hasen. So wie Söhne und Töchter von den Eltern lernen. Oder Mitarbeiter von den Führungskräften.

Anstatt Weiterbildung nur über Konferenzen, Webinare, interne Schulungen und Seminare zu definieren, sollten Unternehmen diese Mentorenprogramme gezielter adaptieren.

Vier einfache Fallbeispiele aus drei verschiedenen Branchen:

  • Ein besonders produktiver Mitarbeiter (und dadurch beförderter Angestellter) könnte für eine beliebige Zeit zurück in die Fertigung wechseln, und mit seinen Alltagshacks, Tricks und Fertigkeiten die Kollegen schlauer und effizienter machen.
  • Ein externer Toolexperte könnte für eine Zeit x in eine Firma einsteigen, und die Stärken besonderer Tools effizient in verschiedene Geschäftsprozesse einbinden. So werden Mitarbeiter nicht nur mit diesen geschult – sie vertrauen dem Werkzeug durch das erfolgreiche Handling schneller und bauen Hemmschwellen ab.
  • Ein alteingesessener Kreativkopf könnte für ein paar Monate nicht nur Kreations-Projekte bereichern, Sonden in gemeinsamen Brainstormings die Denkwege der festen Mitarbeiter schulen und neue Denkmuster etablieren.
  • Bring Dein Team mit der Gegenseite zusammen. Lass die Buchhaltung oder interne Steuerberatung von einem ehemaligen Finanzbeamten coachen. Nicht um zu tricksen, sondern um sauberer zu arbeiten.

Es gibt unvorstellbar viele Modelle und Beispiele, wie Mentoren-Programme wirken können.

Sie verlangen nur eines: Weiterbildung muss als langfristiges und kollegiales Prinzip verstanden werden. Als etwas, das nicht auf Knopfdruck, sondern auch im Arbeitsalltag mit der Zeit geschieht.

Dann bekommen auch zarte Pflänzchen wie Tre Flowers ihre großartige Blütephase.

 

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Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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