#ÜberTalent: Sie leben eine Profession
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#ÜberTalent: Sie leben eine Profession

Es gibt kein Patentrezept, um Talente zu erkennen. Oft ist es eine Frage der Zeit. Wie ich Talent binde? Mit Hinhören. Start der Serie #ÜberTalent mit Unternehmer Kevin Friedersdorf.

von Kevin Friedersdorf
Trägt viel Verantwortung auf seinen Rücken: MANDARIN-Chef Kevin Friedersdorf © Tobias Kruse, tobias-kruse.com

Über die Serie:

In #ÜberTalent reden Unternehmer und Kreative über das besondere Etwas. Wie finden sie High Potentials für ihre Unternehmen – und vor allem: Wie integrieren sie diese optimal in ihre Unternehmen.

Wie definiere ich Talent:

Wie viel ist wirklich Talent und wie viel ist Übung, also Fleiß? Ich finde die Theorie der “10.000-Stunden-Regel” sehr interessant. Darin heißt es: Es braucht nur genügend Übung und Zeit, nämlich 10.000 Stunden, bis jeder zum Meister in seinem Fach wird. Die einfache Logik: Je früher wir mit einer Sache beginnen, desto besser werden wir irgendwann sein.

Der Geiger David Garrett oder der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart sind und waren so perfekt in ihrer Disziplin, weil sie schon im frühen Kindesalter ihrer Begabung nachgingen. Nur eine Theorie, ich weiß, aber ich mag sie trotzdem. Für mich lernt ein Talent ständig dazu und wächst mit den Aufgaben. Das, was die meisten unter Talent verstehen, ist nur eine Grundlage. Erst Leidenschaft formt daraus einen besonderen Charakter.

Mit Leidenschaft meine ich vor allem die aufrichtige Begeisterung für den Job, also für das, was wir im Beruf täglich tun: Jemand, der tun kann, was er wirklich wirklich will, denkt, lernt und macht auch nach 17 Uhr. Ein Talent adaptiert auch Eindrücke und Erfahrungen aus dem Alltag für den Job. Und das alles geschieht aus der eigenen Motivation heraus, besser zu werden, und nicht aus dem Gefühl, noch irgendetwas machen zu müssen. Ein Talent macht keinen Job. Es lebt eine Profession.

Übrigens: Zu oft werden mir Leidenschaft und Willen miteinander vermengt. Ich ziehe gerne einen Vergleich zwischen einem Fußballspiel und einer Laufrunde. Zehn Kilometer am Stück laufen? Dafür brauche ich persönlich sehr viel Willen und Selbstüberwindung. In einem Fußballspiel zehn Kilometer laufen? Mir fällt das Laufen da gar nicht auf. Es macht mir Spaß. So ähnlich verhält es sich auch bei Talenten. Für sie ist Arbeit nicht gleich Arbeit.

Wie erkenne ich Talent:

Hätte ich ein Patentrezept, wäre vieles einfacher. Talente unterscheiden sich, weil Menschen nunmal unterschiedlich sind. Wem sage ich damit etwas Neues. Manchmal ist Talent offensichtlich – in Jobs, in denen man auf den ersten Blick denkt: Oh, das ist verdammt gut, das ist anders, das fesselt mich. Das kann eine Grafik sein, ein Konzept oder ein Text.

In Bewerbungen schätze ich, wenn die Kandidatinnen und Kandidaten aus der Masse herausstechen. Die nicht so förmlich und immer gleich klingen wie alle anderen, sondern es anders machen und dadurch auffallen wollen. Darum geht es doch im Marketing: Sich von anderen Botschaften abzusetzen – mit einer positiven Wirkung. Talente sind mutig, sie gehen auch Risiken ein, wenn sie an etwas glauben.

Bei introvertierten Menschen ist das mit dem Erkennen etwas schwieriger. Vor drei Jahren begegnete ich einer jungen, sehr schüchternen Frau im Bewerbungsgespräch. Sie war etwas leise und zurückhaltend, aber ich erkannte das Wollen. Aber das reichte damals einfach nicht für eine Anstellung. Ihr fehlten die Grundlagen für den Job. Wir sagten aber: Melde dich, wenn sich daran etwas ändern sollte und gaben ihr konkrete Hinweise.

Alle zwei, drei Monate schrieb sie uns, dass sie wieder einen neuen Schritt oder eine Prüfung gemacht hatte. Sie setzte sich nach Feierabend hin und machte Schritt um Schritt nach vorn. Dann haben wir ihr eine Chance als Trainee gegeben. Und es ging so weiter: Schritt für Schritt für Schritt. Mittlerweile kümmert sie sich auch um unsere großen Projekte. Sie ist eine absolute Spezialistin und für unser Unternehmen unentbehrlich geworden. Ihre alte Firma hatte ihr Potenzial verkannt, sie klein gehalten. Manchmal wünsche ich mir, ihr alter Chef würde heute sehen können, wie gut sie ist.

Wie binde ich Talent:

Ich hoffe, mit einem offenem Ohr. Ich muss Frustration und Veränderungen beim Mitarbeiter erkennen – oder zumindest erfühlen. Da braucht es sensible Antennen. Vor Kurzem ist mir das bei einer talentierten Mitarbeiterin nicht gelungen. Das ärgert mich. Weil ihr Wechsel in eine andere Firma zwar auf den ersten Blick überraschend kam, ich dann aber zurück überlegte und dachte: Oh, da gab es durchaus Indizien für eine vorhandene Enttäuschung.

Generell gilt: Ich möchte Jobs um die Menschen bauen und setze auf sehr fluide Stellenbeschreibungen. Interessen und Fähigkeiten verändern sich – und damit verändert sich auch ihr Anspruch an den Job. Aus einem ehemaligen Vertriebler kann beispielsweise ein hervorragender Projektmanager werden, der mit viel Eigenantrieb stetig besser wird, sein Team mitreißt und die Kunden glücklich macht.

Als Vorgesetzter muss ich flexibel denken und Talenten Raum geben. Und ich muss vor allem erkennen, was die Wünsche und Ziele meiner Mitarbeiter sind. Ich frage mich: Was kann ich dafür tun, dass sie nicht an ihren Aufgaben im Alltag abstumpfen, sondern weiterhin ihr Feuer und ihre Leidenschaft behalten?

Dazu gehören auch Faktoren wie die Arbeitszeit und der Ort. Ich will mit dem Büro keinen goldenen Käfig errichten, in dem von 8 Uhr bis 17 Uhr Anwesenheitspflicht herrscht. Jeder Mitarbeiter hat andere Zeiten, in denen er am besten arbeiten kann. Da ist eine starre zeitliche Bindung kontraproduktiv. Zu Flexibilität gehört auch, Müttern und Vätern entgegen zu kommen. Wie kann Arbeit organisiert werden, dass sich unsere Arbeit und unser Leben nicht behindern, sondern einander ergänzen?

Ein zurzeit wichtiges Thema: der Wohnort. Die Wahl des Lebensmittelpunkts gehört zu einem Wachstumsprozess. Also habe ich als Chef die Wahl, diesen Mitarbeiter zu verlieren oder eben zu halten, indem ich mir eine Lösung überlege. Das kann das Home Office sein oder ein Platz in einem Co-Working-Space in Jena. Das gute an diesen Lösungen: Sie bauen nicht nur Loyalität zwischen dem Mitarbeiter und mir als Unternehmer auf. Sie machen den Mitarbeiter glücklich. Und Glück wirkt bei den meisten Menschen extrem leistungssteigernd.

Wie fördere ich Begabung:

Ich muss wissen, wohin der Mitarbeiter perspektivisch will. Dann versuche ich, demjenigen diesen Raum und diese Verantwortung zu geben. Und dazu zählt auch eine Fehlertoleranz meinerseits. Menschen, die sich entwickeln und verbessern wollen, machen nicht alles richtig. Wer neue Wege gehen will, rutscht manchmal aus. Dann geht es weniger um das Ermahnen, sondern eher um das Aufrichten, das Zeigen meiner Unterstützung. Am Ende sehe ich mich in der Talentförderung in der Rolle eines Anheizers, der dafür sorgen will, das gute Leute ihren Antrieb und ihre Motivation behalten. Denn die macht sie einmalig und zu einem großen Gewinn für jede Unternehmung.

Anheizen heißt für mich auch: Budget und Zeit für Weiterbildung freizumachen. Jeder Mitarbeiter kann zehn Prozent seiner Arbeitszeit in reine Weiterbildung investieren. Das können Konferenzen sein, oder besondere Rollen im Unternehmen. Wir haben sogenannte Toolmaster geschaffen, die den Umgang mit unseren Werkzeugen wie Asana oder der G-Suite perfektionieren und dann mit Kollegen teilen. Weiterbildung kann auch Verantwortung oder die Einbindung in ein größeres Projekt sein.

Mein größtes Talent:

Mein Talent ist das Pingpong-Spielen – und das auch wirklich nur zu zweit oder in einer größeren Gruppe. Meine Kollegen und Mitarbeiter schätzen das und hassen es gleichzeitig: Kurz vor dem Pitch oder einer wichtigen Projektpräsentation komme ich um die Ecke und sage, lass uns das noch machen und das auch noch. Stehe ich allein an der Platte, fällt mir die Ideenfindung deutlich schwerer. Umso wichtiger ist mir ein starkes Team mit starken Talenten.

In diesem Artikel
Kevin Friedersdorf

Ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur MANDARIN MEDIEN. Seit September 2018 ist er Herausgeber von GrowSmarter.

1 Kommentare
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Gorilla
21.03.2019
Nach fast zwei Jahren in seinem Unternehmen kann man nur bestätigen: Das sind nicht nur Worte, sondern vor allem Taten!

Und nebenbei: Ein starker Text. ;)

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