Über Journalismus und Content Marketing
Disclaimer: Über dieses Thema durfte ich für MANDARIN MEDIEN auf der Marketingkonferenz Contentixx in Berlin sprechen. Ich habe mein Script, das ich vor jedem Vortrag im "vorgenommenen Wort" aufschreibe, nur marginal nachträglich bearbeitet. Viel Spaß!
Ich halte diesen Vortrag heute nicht zum ersten Mal. Immer, wenn ich über das Thema Journalismus und Content Marketing sprach, wurde mir am Ende eine Frage gestellt: Warum bist du so früh von der journalistischen Schiene auf die werbliche gewechselt? Ich möchte sie heute gleich zu Beginn beantworten.
1. Motivation: Es ging mir (auch) ums Geld
Vor etwa drei Jahren schrieb ich eine Geschichte über eine junge Frau. Melanie. Mel leidet an Neurofibromatose, Typ 1. Das ist ein seltener Gendefekt, der dafür sorgt, dass ständig Tumore in ihrem Gesicht wuchern. Mel muss regelmäßig operiert werden. Narben und Schwellungen haben sie gezeichnet. Als sie als Schülerin ein Praktikum in einem Supermarkt machen wollte, sagte der Filialleiter zu ihrer Mutter, dass das nicht möglich sei. Das Mädchen verschrecke die Kunden. Mel sagt über sich: "Ich bin nicht behindert. Ich seh nur so aus."
Mel ist eine unfassbar starke, toughe und bewundernswerte Frau. Beim Sport findet sie Erfüllung. Beim Rollstuhlbasketball wird sie nicht ausgegrenzt, sondern ist die Schlüsselspielerin. Dabei ist Mel halb blind. Für sie kein Problem. Übersicht ist anscheinend keine Frage der Augenanzahl.
Das Porträt erschien damals in der Wochenendausgabe des Berliner Tagesspiegels, einem Blatt mit Renommee. Auf einer ganzen Seite. Ich war gerade 23 geworden und unsagbar stolz. Ich faltete ein paar Tagesspiegel zusammen und steckte sie in Kuverts. Meine Familie, versprenkelt um Warnow und Recknitz, hoch im Norden, las das erste Mal Hauptstadt-Zeitung.
Die Geschichte hatte eine Woche Arbeit gekostet. Sie lag mir am Herzen. Mel macht anderen Mut. Menschen wie sie verdienen Stories, sie verdienen eigentlich so viel mehr als Aufmerksamkeit. Das Honorar, das ich für eine menge Arbeit bekam, war trotzdem sehr bescheiden. Klar, es war meine Entscheidung, so viel Mühe zu investierten. Aber auch freie Journalisten müssen Mieten und ihre Jägermeister bezahlen. Ich war verdammt frustriert. An diesem Tag bewarb ich mich bei MANDARIN MEDIEN im Marketing, weil ich keine Lust mehr hatte, mich von Text zu Text zu hangeln. Und weil ich die Chance sah, mit besseren Budgets bessere Geschichten erzählen zu können. Aus der Übersprunghandlung, die Seiten wechseln zu wollen, ist bisher eine fantastische Zeit geworden. It’s a kind of a funny story.
Wobei: So lustig ist das alles gar nicht. Für viele andere geht es um Existenzen. Eine Studie vom PEW Research Center fand heraus, dass in den USA zwischen den Jahren 2008 und 2018 ganze 25 Prozent der Stellen in Nachrichtenredaktionen abgebaut wurden. Wer heute als Journalist einen festen Job bei einer guten Adresse haben will, braucht nicht mehr nur das Können, sondern manchmal auch etwas Glück und Vitamin B.
2. Warum Journalisten guten Content produzieren
Die Süddeutsche Zeitung und die brand eins zählen zu den innovativsten deutschen Medien. Sie spinnen starke Geschichten, wagen neue Formate. Sind im Design und in der Nutzung der Chancen von Online-Plattformen kreative Pioniere. Beide Häuser machen übrigens hochwertiges Content Marketing für Unternehmen wie Audi oder Tchibo. Das hatte ich bis vor Kurzem gar nicht mitbekommen. Die Ergebnisse sind eigen, nicht austauschbar, originell. Die Werbehefte würden auch für acht Euro im Bahnhofskiosk Abnehmer finden. Und das sage ich als Angestellter einer Firma, die um ähnliche Projekte buhlt. Ich habe jedoch gelernt: Wertschätzung für die Arbeit anderer ist der verlässlichste Weg, um selber ein besserer Mensch, Schreiber und Denker zu werden. Carsten Matthäus, ein ehemaliger Top-Journalist der Süddeutschen, dann einige Zeit verantwortlich für SZ Scala, sagte über das Verhältnis von Journalismus und Content Marketing der W&V in einem Interview:
Content Marketing tötet nicht den Journalismus, es fordert ihn heraus. Manche Content-Marketing-Projekte sind gut bezahlt. Damit hat man Zeit und Geld für gute Recherche, hervorragende Fotografie und aufwendiges Design. So können Magazine entstehen, die zurecht Preise gewinnen. Redaktionen, insbesondere die einiger Fachtitel, haben diese Ressourcen schlichtweg nicht.
Ein weiteres Beispiel, wie eng Content Marketing und Journalismus bereits verflochten sind: der beliebte Podcast ZEIT Verbrechen. Ja, das ist Unterhaltung auf hohem Niveau. Vor allem aber geschicktes Content Marketing für das quartalsweise erscheinende Magazin. Vielleicht ist das die größte Stärke von Autoren mit journalistischem Hintergrund im Vergleich zu klassischen Textjongleuren und -jongleurinnen, die man aus Agenturen kennt: Redakteure schreiben und erzählen subtiler. Die amerikanische Content-Marketing-Expertin Kylie Ora Lobell nennt in einem Blogpost acht weitere Stärken von Journalisten im Content Marketing:
- Sie sind formell geschult.
- Sie sind wissbegierig.
- Sie sind fantastische Geschichtenerzähler.
- Sie schreiben von einem neutralen, nicht verkäuferischen Standpunkt aus.
- Sie sind hervorragend in der Tiefenrecherche und in Interviews.
- Sie sind Deadlines gewöhnt.
- Sie haben Einfluss.
- Sie sind zunehmend freiberuflich tätig.
Eine Anmerkung zu Drittens:
Wer in der Lokalzeitung eine interessante Story über Karnickelzüchter oder Kakteenklubs hinbekommt, der schreibt auch gut über Handseife oder Überdruckventile.
3. Learnings und Best Practices
Momentan sind wir bei MANDARIN MEDIEN auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Wir fragen uns: Warum sind manche Texte richtig, richtig gut? Was machen einige Autorinnen und Autoren so viel besser und anders als der Durchschnitt? Kann man die DNA von gutem Content entschlüsseln?
Warum funktioniert Thema A besser als Thema B, wo doch B viel toller klingt und besser umgesetzt wurde? Und noch wichtiger: Wie können wir im Storytelling eine Grundlage schaffen, damit die Beiträge verlässlich journalistische Ansprüche erfüllen, den Lesern gefallen oder nutzen und wir trotzdem für die Kunden messbare Erfolge erzielen?
Bei MANDARIN arbeiten wir immer häufiger mit dem Begriff der "Artikel-Architektur". Ich weiß nicht wirklich, wie verbreitet dieser Begriff ist oder ob es andere, weiter verbreitetere Namen für ihn gibt. Wir definieren ihn jedenfalls so: Jeden Beitrag oder jedes Thema kann man sich wie ein Gebäude vorstellen. Und damit dieses Objekt nicht zusammenstürzt oder umkippt, braucht es tragende Säulen. Je nach Beitragsart verlangt die Statik unterschiedliche Stützen für eine Story. Der Rest drumherum ist Staffage. Schön, wenn es sie gibt. Aber sie ist nicht überlebenswichtig.
Wie genau sich diese Beitrags- oder Themenarchitektur bei uns in der täglichen Arbeit zusammensetzt, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, da wir diese Leistung auch an Unternehmen verkaufen. Die Architektur eines Artikels speist sich jedoch aus Learnings, die uns mehr oder weniger populäre Medien regelmäßig beibringen.
Katapult Magazin: echt und authentisch sein
Ich bin als Mecklenburger glücklich, dass eines der spannendsten deutschen Magazine aus meinem Heimatbundesland kommt: das Katapult-Magazin, ein Heft über Kartografie und Sozialwissenschaft. Das, was die Greifswalder aus Daten und Statistiken machen, ist inhaltlich informativ, in der Themenauswahl originell, teilweise witzig, immer unterhaltend. Das Katapult-Magazin ist auch in der unternehmerischen Perspektive spannend, weil die Redaktion neue Formate ausleuchtet und ausprobiert. Am allertollsten, das muss ich so schwärmerisch sagen: Die Redakteure sind super transparent und authentisch in der Kommunikation. Egal ob es um Quellenverweise oder um unternehmerische Motive und Details geht. Es gibt kaum ein Publisher, der sich so gläsern präsentiert. Was ich damit sagen will: Stellt euch bei jedem Inhalt vor, den ihr erstellt, dass auch das Team von Katapult diesen Artikel unter Umständen lesen wird. Gebt euch also alle Mühe, damit diese Crew diesen Beitrag nicht total daneben findet.
Filson: Nicht vordergründig Werbung machen
Aus Zeitgründen zeige ich euch nicht dieses Video. Es dauert 17 Minuten, ist also viel mehr Kurzfilm als ein Spot. Es ist ein im Stil einer US-Doku gedrehter Kurzfilm. Mit Interviews der Beteiligten oder dem Einspielen der originalen Notruf-Anrufe. Der Film heißt: "Will to live."
An einem frostigen Tag muss Gary Edinger diesen Lebenswillen zeigen. Edinger ist Holzfäller, ein erfahrener Mann, damals knapp sechzig. Doch in einem entlegenen Waldstück im US-Bundesstaat Wisconsin geht etwas schief. Edinger trennt sich bei einem Unfall einen Unterschenkel ab. Überall Blut. Kälte. Der Truck ist weit weg geparkt. Edinger robbt los, sein Körper malt eine rote Spur in den Schnee. Entweder er besiegt den Schmerz, oder er erfriert, ehe er verblutet ist. Edinger schafft es zum Auto und kann Hilfe alarmieren.
In der "brand eins" über Kommunikation wurde dieses spannende Musterbeispiel für epischen Content vorgestellt, dass der Outdoor-Klamottenhersteller "Filson" aus Seattle produzierte. Dieser hatte Edingers Story in Bewegtbild ein Denkmal gesetzt. Die Werbekurzfilme der Marke sind keine Commercials. Die Produkte sind kaum präsent und schon gar nicht zentrales Thema. Filson nutzt vielmehr starke Stories, die mit der Marke an sich wenig zu tun haben, um sich als Geschichtenerzähler zu inszenieren. Die Strahlkraft der porträtierten "Heros" färbt unmittelbar auf die Marke zurück und erzeugt eine positive Wahrnehmung. Die Botschaft, die auf Empfängerseite zwangsläufig ankommt: "Helden des Alltags tragen Filson." Und glaubt mir: Bei Fans von Engelbert Strauss kommt genau dieser Content gut an. Ich habe es mit meiner Familie getestet.
Tagesspiegel: Nicht zu viel machen. Sondern einiges richtig gut
Der Berliner Tagesspiegel erzählt die Geschichten, die Berlin bewegen, in einer beeindruckenden Ausführlichkeit. Investigativer wie interaktiver Journalismus, gepaart mit multimedialen Werkzeugen und einer Prise Unterhaltung. Geschichten wie das Stück "Wem gehört Berlin" sind journalistisch beeindruckend, erfüllen jedoch auch den Tatbestand des Content Marketings. Und das nicht nur, weil sie "kostenlos" zu erlesen sind:
- Geschichten mit diesem Buzz sorgen für ordentlich Reichweite, weil sie viele Menschen emotional tangieren. Der Tagesspiegel macht mit diesem Projekt auf sein Hauptprodukt, die Tageszeitung, reichweitenstark aufmerksam.
- Die hohe Qualität dieser Arbeiten, die auch andere Medien erwähnen, färbt unmittelbar auf die Tagesspiegelprodukte ab.
- Themen wie "Wem gehört Berlin" oder "Radmesser" besitzen in allen Großstädten eine hohe Relevanz. Als überregionale Tageszeitung schärft der Tagesspiegel über Disruption auch in anderen Großstädten sein Profil.
Das Beispiel des Tagesspiegels lehrt uns eines: Es ist manchmal sehr viel schlauer, viele Ressourcen auf ein Thema zu konzentrieren, als sehr vieles allenfalls halb gar mal eben so mitzumachen. Qualität kann jederzeit Quantität schlagen, ein Beitrag kann also mehr erreichen als 20 andere zusammen.
The Ringer: Schreibe nur über das, was die Leute sehen wollen.
Manch einer wird sich fragen, warum in der Headline "sehen" statt "lesen" steht. Das ist kein Flüchtigkeitsfehler, sondern Absicht. Das Medium "The Ringer" in den USA arbeitet genauso so. Die Kernressorts sind Sport und Fernsehen. Zurzeit auch Corona.
The Ringer ist so erfolgreich, weil sie nicht nur frisch im Design und in der Formatwahl sind, oder eine hohe Qualität abliefern, sondern weil sie sich auf reichweitenstarke Themen fokussieren. Bekanntlich (und leider) interessieren sich mehr Leute für Tik Tok, Fußball oder die neue "Better Call Saul" Folge als für die miserable Flüchtlingssituation in Griechenland. The Ringer baut immerhin ein reichweitenstarkes Produkt, das gut ist, das den Lesern gefällt, das sichere Arbeitsplätze schafft. Besonders im B-to-C-Marketing gilt es sich bei der Themenkonzeption immer wieder die gleiche Frage zu stellen: Welche Inhalte konsumiert unsere Zielgruppe gerne?
Marc Raschke: Sei relevant
Ein Redaktionsplan ist manchmal wie ein Hamstervorrat Erasco-Doseneintopf und zehn Verpackungen Charmin-Toilettenpapier. Er gibt Sicherheit. Und auf monatelange Redaktionspläne zu stehen, ist voll okay. Doch darunter darf nicht die Flexibilität leiden, um notfalls noch Ressourcen für Punkt vier zu haben: Denn manchmal gibt es Relevanzen, die für Unternehmen sehr kostbar sein können.
Denken wir aktuell an einen Hersteller von Desinfektionsmitteln: Wenn bei diesem die Redaktionspläne bis August schon voll und eingetaktet sind, ist das schön. Doch könnte er jetzt überhaupt auf die hohe thematische Relevanz, die Corona bringt, für sich ausnutzen? Teilweise werden im März schon Themen für den August festgezurrt, ohne zu wissen, welche Themen zu diesen Zeitpunkten die Chancen auf organische Reichweiten erhöhen.
Wie erfolgreich Flexibilität und Mobilität bei Themen und Inhalten sein kann, zeigt momentan Marc Raschke. Er macht für ein Dortmunder Krankenhaus Kommunikation und liefert zurzeit Einordnungen und Einschätzungen zu Corona in Dauerschleife. Auf Instagram in kurzen Story-Videos, bei LinkedIn mit formidablen Beiträgen. Raschke reagiert von Tag zu Tag. Er ist aktuell. Er ist informativ. Er ist für die Menschen "relevant".
Das ist nicht nur ein Best Practice, sondern zeigt den Vorteil, den Redakteure und Journalisten ins Marketing einbringen könnten: Denn selbst wenn es grobe Pläne gibt, weiß man bei einer Zeitung nie, was wirklich am morgigen Tag der Aufmacher sein wird. Innerhalb von einer Minute kann sich eine ganze Seite ändern.
Was ich damit sagen will: Es braucht ein gut austariertes Gleichgewicht zwischen beiden Gewerken. In der Umsetzung wie in der Planung.
Players Tribune: Wage neue Perspektiven
Über den Players Tribune habe ich in unserer Content-Marketing-Vision geschrieben. Ich zitiere:
In den USA gibt es dafür bereits das passende Medium – “The Players Tribune”. Wie der Name verrät, ist es eine Publikation von und für Sportler. Zahlreiche Aktive sind an dem Online-Projekt finanziell beteiligt. Die besten Sportler der Welt schreiben dort Beiträge. Nicht ein Praktikant mit Kartoffelchipskrümeln am Revers, der für 350 Piepen geknechtet wird, erklärt da, wer die besten Football-Receiver der Welt sind. Es ist ein Profisportler, ein Top-Verteidiger der NFL, der erläutert, was seine Rivalen besonders gut können. Er sammelt seine Eindrücke nicht vor dem Fernsehen oder auf einer hohen Tribüne, sondern atmet den Schweiß des davonlaufenden Gegners auf dem Feld.
Der Players Tribune macht mehr als Sport. Er ist manchmal politisch, manchmal nerdy, sehr oft sehr privat. Ryan Suter, ein knorriger Eishockey-Bär, schrieb beispielsweise einen Text über den Mann, der ihm das Eishockeyspielen beigebracht hatte und eines Tages in der Eishalle umkippte. Das Herz. Es war Suters Vater.
Andere Texte erreichen durch die Prominenz oder das öffentliche Standing der Autoren sehr viel Aufmerksamkeit und Relevanz für die wichtigen Themen. Profibasketballerinnen schrieben über die unfassbar schlechte und ungleiche Bezahlung in ihrer Organisation. Andere Sportlerinnen äußerten sich zu selbst erlebten sexuellen Missbräuchen in ihrer Jugend. Natürlich ist das kein klassischer Journalismus. Aber es ist eine Form der Berichterstattung, die Aufmerksamkeit generiert und die Leser oft herausragend unterhält.
Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Boxweltmeister Anthony Joshua. Sein Ausrüster Under Armour hat diesen Beitrag eingekauft. (Anmerkung: Zuhörer sehen einen Screenshot des Artikels auf der Folie.) Die Marke präsentiert diese Story. Im Titelbild sind die Klamotten und die Logos von Under Armour entsprechend inszeniert.
Der Text von Joshua ist ziemlich gut. Er ist selbstkritisch, intim, informativ, für seine Anhänger und Boxfans im Allgemeinen ein selten da gewesener Einblick in seine Karriere. Toller Content. Kein einziges Mal wird sein Sponsor im Verlauf genannt. Keine unglaubwürdigen Schmeicheleien. Under Armour generiert trotzdem eine unfassbare Brandwareness. Und profitiert von der guten Story des Testimonials.
Zu den Vorteilen von Gastbeiträgen komme ich gleich ausführlich.
4. Werbung: Wie wir bei MANDARIN arbeiten
Wir haben das große Glück, eine Redaktion nach und nach aufbauen zu können. Wichtig ist uns der journalistische Background der Leute. Sie sollen ihn mitbringen, oder bestenfalls bekommen. Unsere Volontäre dürfen voll bezahlte Praktika in renommierten Redaktionen machen. Sie sollen von den Besten lernen, echten Journalismus atmen.
Fast noch wichtiger als das Team: die Verzahnung von klassischen Agenturfeldern wie Social Media, SEO, Performance Marketing oder Kommunikation mit einer "frei arbeitenden" Redaktion. An zwei Formatspielen können wir zeigen, wie das klappt.
1. Die Power von Gastbeiträgen
Das wir in unserer Arbeit für Kunden beispielsweise so auf Gastbeiträge setzen, hat fünf Gründe:
- Wir produzieren exklusive und emotionale Inhalte. Auch weil die Protagonisten anders als bei Porträts die volle Kontrolle über den finalen Text besitzen. Sie öffnen sich mehr, erzählen detaillierter, oft interessanter. Sie vertrauen. Unternehmen können Safeplaces für Geschichten kreieren, die den Autoren etwas bedeuten.
- Die Beiträge sind authentisch, weil die Autoren im Idealfall unabhängig von der Marke sind, und die Brands in den Texten nicht aktiv erwähnt werden.
- Wir docken an die Social Media Reichweiten der Protagonisten an, die ihre Werke gerne und freiwillig mit ihren Followern teilen.
- Dadurch, dass der Content nicht "direkt" von der Marke kommt, sondern von einer Person aus der spitzen oder breiten Öffentlichkeit, lassen sich Beiträge sehr gut in Gruppen und Foren seeden.
- Das Image der publizierenden Unternehmen profitiert von jeder Geschichte und jeden Namen nachhaltig.
Warum machen die Protagonisten bei so etwas sogar unentgeltlich mit?
Ganz einfach: Weil sie selbst etwas davon haben. Ich möchte aus Zeitgründen nur ein Beispiel darlegen, und zwar diesen Text vom ehemaligen Fußballhecht René Rydlewicz.
In seinem Gastbeitrag erzählt Rydlewicz eine völlig neue Perspektive aus seinem Leben. Er erläutert, warum er so gerne mit jungen Talenten arbeitet und warum er dabei eine große Verantwortung spürt. Der Gastbeitrag beginnt mit dem unkonventionellen, wahren und aufmerksamkeitsbindenden Satz: "Letztens habe ich eine Psychologin angefahren."
Dieser Text bot für den Leser einen echten, ungefärbten Einblick in Rydlewicz persönliche Geschichte. Der Autor selbst konnte sein als Fußballer geprägtes Image als "Raubein" entkräften. Noch viel wichtiger: sich selbst besser kennenlernen. Viele Sportler, mit denen ich bisher an Texten arbeiten durfte, bezeichnen diesen Prozess als eine Form der Psychohygiene. "Wenn man so einen Text mitschreibt und dann liest, dann sieht man alles aus einer anderen Perspektive", schrieb mir einer unserer Gastautoren nach der Veröffentlichung seiner Geschichte. René Rydlewicz ist, drei Jahre nach dem Artikel, übrigens Nachwuchstrainer beim DFB geworden.
Auch messbar sind sogenannte Guestblogs erfolgreich: Wir registrieren in unterschiedlichen Projekten überdurchschnittliche hohe organische Reichweiten, Verweildauern zwischen vier und fünf Minuten und Absprungraten unter zehn Prozent. Das sind außergewöhnlich gute Werte.
Was ist das Geheimrezept? Auch hier mag ich nur einen oberflächlichen Eindruck geben, die Prozesse dahinter sind detaillierter und vielschichtiger. Aber nur so viel: Der Protagonist, seine Geschichte und das Unternehmen müssen eng "gematcht" werden. Die Wirkung von Gastbeiträgen verpufft komplett, wenn Unternehmen nur einen populären Namen haben wollen, andere Parameter aber ausblenden.
2. SEO und Storytelling
Ein zweites Beispiel für die Verzahnung von Marketing-Strategie und journalistisch angehauchten Content möchte ich noch erwähnen: die Hochzeit von Suchmaschinenoptimierung und echten Stories. Es ist ein bisschen wie in der Automobilindustrie, wenn Fahrwerk und Karossiere während der Produktion miteinander vereint werden. Beides wird unabhängig voneinander montiert, ergibt aber nur zusammen ein brauchbares Ergebnis.
Ich persönlich habe mich lange gegen SEO gesperrt. Ich fühlte mich als Autor gegängelt. Wer will sich denn vorschreiben lassen, welche Wörter man zu gebrauchen hat?
Mittlerweile bin ich von SEO überzeugt. Vor allem, weil uns Analysen verraten, was die Menschen wirklich interessiert. Die Herausforderung ist es, mit Storytelling SEO-relevante Themen auf eine andere Art für den Leser zu öffnen. Dafür gibt es einige Werkzeuge: Humor, emotionale Trigger, Relevanz oder Widersprüche, die Interesse wecken.
Ein Beispiel: Der Kalorienverbrauch. Viele Menschen interessieren sich dafür, wie viele Kalorien sie bei einer Tätigkeit verbrennen. Memo an mich selbst: Netflixen bringt nicht so viel.
Doch wie kann man ein durchgekautes und vielfach ausgespucktes Thema, über das wahrscheinlich schon die Bäckerblume schrieb, neu aufbauen? Wir wählten einen humoristischen Zugang und fragten: Wie viel Kalorien verbrennt ein Ork?
In der Themenarchitektur brachte das einige Vorteile:
- Wir erreichten die Nische der Larping-Community (Live Action Role Playing, die sich über jeden positiven Beitrag freut).
- Die Headline war theoretisch für ca. 10 Millionen Zuschauer von der "Herr der Ringe" interessant.
- Über die Protagonisten, die in der LARP-Szene bekannt sind, schufen wir eine Grundlage für das Seeding und die Verbreitung via Social Media.
Im Grunde zeigt dieses Beispiel, wie Marketer und Neu-Marketer mit journalistischem Migrationshintergrund ideal zusammenarbeiten können:
- Marketer ermitteln Relevanzen und sammeln wesentliche Informationen, die ein Autor für die Themen- und Artikelkonzeption benötigt.
- Der Autor findet neue Zugänge und matcht Thema, Protagonist sowie die Kunden- und Leserinteressen.
- Der Marketer sorgt wieder dafür, dass die Arbeit von möglichst vielen wahrgenommen wird.
Vielen Dank fürs Zuhören (und Zulesen).
Wie der Vortrag auf der Contentixx ist auch dieser Text am Ende nichts anderes als Content Marketing. Wer mehr wissen will, die Slides privat anfordern möchte, meldet sich am besten direkt bei mir über LinkedIn oder per Mail.
Neuen Kommentar schreiben